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"Kreutzersonate-Transformationen"

 

25. Januar 2015, 17 Uhr, Neubad (Luzern)

Bar/Konzerteinführung: 16 Uhr, Eintritt: Fr. 25.00 / 15.00

Haltestelle Steghof

 

 

23. April 2015, 20 Uhr, ONO (Bern)

Galerie/Türe/Bar: 19:00 Uhr, Eintritt: Fr. 25.00 / 15.00

 

 

 

Programm:

 

 

Leoš Janáček (1854-1928)

Streichquartett Nr. 1 "Kreutzersonate"

 

Giacinto Scelsi (1905-1988)

Streichquartett Nr. 4

 

 

Pause

 

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Auszüge aus der "Kunst der Fuge"

 

Jonathan Harvey (1939-2012)

Streichquartett Nr. 2, Video von David Sypniewski

 

 

Mitwirkende:

Kubus Quartett

David Sypniewski, Videokünstler

 

 

Die Kunst ist ein schlüpfriger Fisch.

 

Als eine unabhängige Instanz, welche sich stets von Neuem erfolgreich jeglicher Funktionalisierung verweigert, ist Kunst der Ort, an dem eine Gesellschaft das Verhältnis von Wertestabilität und Umwälzung permanent neu verhandelt. Sie ist gleichzeitig Zeichen und Trägerin von Aufbruch, von Veränderung und Bewegung. Wie Wasser, das verkrustete Strukturen zum Bröckeln bringt, kann uns Kunst mit den Mitteln der Ästhetik den Weg aus starren Wertegerüsten weisen - und gerade dann die grösste Sprengkraft entfalten, wenn die Welt besonders frostig erscheint. Gleichzeitig entsteht ein Werk aber nie gänzlich aus dem Nichts heraus, sondern tritt uns stets als Ergebnis einer historischen Entwicklung entgegen, die den politischen, sozialen und medialen Boden für das entsprechende Werk bereitet.

 

Das vorliegende Programm ist daher nicht ganz zufällig auch Ausdruck dieser Ambivalenz und Kommentar zu einer aktuellen Auseinandersetzung um Stabilität und Umwälzung, um Stillstand und Fortschritt, wie sie gegenwärtig jeden wachen Zeitgenossen umtreibt. Die jungen Musiker haben innovative (Kom-)Positionen, Perspektiven und Ansätze zusammengetragen, die sich dem angstfreien Rückgriff auf Bestehendes verdanken. Sie präsentieren Autoren, die sich in lustvoller Aneignung von bestehendem Material inspirieren liessen, um wiederum Neues zu erschaffen.

 

Giacinto Scelsi (1905-1988), der italienische Graf, den bis heute ein Geheimnis umgibt, verkörperte die Widersprüchlichkeit eines von den Niederungen des profanen Alltags enthobenen Lebens an der Schwelle zum Transzendentalen. Und so, wie sich der Komponist, von dem uns kaum eine authentische Fotografie erhalten geblieben ist, zeitlebens in Anonymität hüllte, so ungreifbar erscheint uns auch seine Schöpfung, in welcher die Töne anderen Kategorien zu gehorchen scheinen als der Zeit oder dem Takt. Als Anhänger der Reinkarnationslehre, der enge Bindungen zu den Surrealisten pflegte, schuf er Werke, die sich dem Kategorisierungsmuster zeitgenössischer Kompositionspraktiken entziehen. So legte er auch keinen Wert auf das Prinzip der eindeutigen Autorenschaft, sondern entwickelte die Vorstellung von "sphärischen" Klanggebilden, basierend auf "mikrotonalen" Elementen. Auch in seinem Quartett No 4 (1964) gibt es keinen Takt, kein Tempo - nur die Dauer und die Andeutung einer musikalischen Syntax. Doch es sind diese Verzerrungen und Verschiebungen von traditionellen, althergebrachten Mustern aus Tonfolgen und Akkorden, die dem Stück eine visionäre Kraft verleihen. 

 

 

Weitaus bodenständiger und vertrauter erscheint uns Johann Sebastian Bach's (1685-1750) Kunst der Fuge (um 1742); ein Werk, das uns bis heute reichhaltigen Stoff bietet für ausgedehnte werkanalytische, musikgeschichtliche und mathematische Betrachtungen. Doch gleichzeitig fusst der Zyklus auf den damals bereits teilweise als "alter Zopf" empfundenen Traditionen der kontrapunktischen Kompositionsformen und der polyphonen Tastenmusik - und wurde daher immer wieder als bloße Fleißarbeit und Fingerübung abgetan. In diesem Zwiespalt liegt die ungemindert grosse Bedeutung dieser umfassenden Konstruktion. Oder wie Alban Berg 1928 nach einem Konzertbesuch in Zürich an seine Frau schrieb: "Gestern Kunst der Fuge gehört. Herrlich!! Ein Werk, das bisher für Mathematik gehalten wurde. Tiefste Musik!"

 

Leos Janacek's (1854-1928) Streichquartett No 1 - Kreutzersonate aus dem Jahre 1923 bedient sich offensichtlich des Titels von Tolstoi's gleichnamiger sozialkritischer Novelle von 1889 (die ihren Titel wiederum Beethoven's Violinsonate No 9 verdankt). Die Erzählung (um einen Mord vor dem Hintergrund der Zersetzung klassischer Familienmodelle) wurde zunächst als progressiver Beitrag zur russischen Moraldebatte um die Jahrhundertwende gedeutet (heute muss man ihr allerdings eine eher konservative, sexualhygienische Motivation unterstellen). Dem Tschechischen Komponisten, der selbst oft als Grenzgänger zwischen Folklore und Moderne charakterisiert wird, gelingt es, das emotionale Leid der am Ende ermordeten Protagonistin musikalisch zu verarbeiten, indem er traditionelle thematische Elemente neu anordnet und aus ihrem angestammten Gefüge reisst.

 

Einen ähnlichen Impetus können wir auch bei dem Werk des britischen Komponisten und Tonkünstlers Jonathan Harvey (1939-2012) erkennen - wenn auch mit deutlich postmodernem Gepräge: Harvey bezog sein musikalisches Vokabular aus der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Britten, Stockhausen und Boulez, sowie durch die Hinwendung zur Elektronik. Man könnte in diesem Zusammenhang paradoxerweise bereits von einer Tradition der Avantgarde sprechen, in denen fragmentierte Klanggebilde der Erforschung neuer musikalischer Landschaften dienen. Allerdings hat Harvey stets beteuert, als Buddhist sei er daran interessiert, eine Art von organischer Einheit und Kohärenz zu wahren, welche sich auch "uneingeweihten" Hörern erschliesst.

 

(Text Wiktor Sendecki)

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